Mein Frankreichaustausch 2005

 
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Ein Bericht über 3 Monate Frankreicherlebnis in der 11. Klasse

Da ich schon lange sehr interessiert an fremden Kulturen bin und 2005 bereits seit vier Jahren begeistert Französisch lernte, suchte ich über das Programm „Brigitte Sauzay“ im Internet nach einer netten Französin, um an einem Austausch über drei Monate teilzunehmen. Sie sollte von April bis zu den Sommerferien bei uns bleiben und ich danach ab dem 2. September bis zum 20. November 2005 zu ihr kommen, wovon ich zehn Wochen in die französische Schule ging.

Aline Massol, damals fünfzehn Jahre alt, besuchte die elfte Klasse des „Lycée Dupleix“ in Landrecies, einer kleinen Stadt in der Nähe von Valenciennes im Norden Frankreichs. Als sie im Frühjahr 2005 zu mir kam, verstanden wir uns auf Anhieb sehr gut. Da Alines Mutter eine gebürtige Deutsche ist und meine Eltern auch recht gut französisch sprechen, gab es auch keinerlei Verständigungsprobleme. Aline und ich teilten uns hier wie auch in Frankreich ein Zimmer, was jedoch nie zu Komplikationen führte, sondern eher unser gutes Verhältnis noch verstärkte.

Ein Wochenende vor unserem Austausch fuhr meine Familie mit Aline zu ihrer Firmung zu ihr nach hause, wobei ich die Gelegenheit nutzte, das Haus und die Familie gleich näher kennen zu lernen. Pierre, Alines Vater, war Sportlehrer am Lycée Dupleix, welches damals auch die neunjährige Marie und der vierzehnjährige Tom besuchten. Die Mutter Heidi kümmerte sich um Haus und die Familie.

Während der großen Sommerferien wollten Aline und ich gerne zusammen zelten, was aber schon allein wegen der ungleichen Termine ins Wasser fiel. So schrieben wir uns während dieser Zeit viele Mails. Die anderthalb Monate „Pause“ zwischen den Austauschen war sehr gut bemessen und ich freute mich am Ende, Aline wiederzusehen. Nur die Umstellung, jetzt auf einmal französisch miteinander zu reden, war für beide seltsam.

Es war gut, das Haus und das Dorf Landrecies schon vorher gesehen zu haben. Und obwohl ich schon oft in den Ferien in Frankreich gewesen war, war mir der große Unterschied des Wohnens vorher nie aufgefallen. Die Häuser sind zum großen Teil schon sehr alt und in vielen Wohnungen achtet man einfach nicht so sehr auf das äußere Erscheinungsbild. Bei Familie Massol standen zum Beispiel die Holzdielen so hervor, dass man darauf gut wippen konnte. Auch die französischen Türgriffe waren für mich schwierig zu bedienen. Was mir im Haus am  meisten gefehlt hat, war eine richtig heiße Dusche. Man musste dort zuerst ein paar Minuten den Hahn laufen lassen, bis das Wasser einigermaßen warm wurde. Außerdem war die Dusche ungewohnt klein und die Tür nur schwer zu schließen… Aber das war alles nur halb so schlimm.

Vor dem ersten Schultag war ich etwas aufgeregt, denn Aline hatte sich für den naturwissenschaftlichen „S“- Zweig entschieden und ich wollte lieber die Klasse mit sprachlichen Schwerpunkten besuchen. So hatten wir einen unterschiedlichen Stundenplan und sahen uns vormittags selten.
Am ersten Tag gingen wir zusammen die gemütlichen zehn Minuten zur Schule, wo uns ein langatmiger Vortrag der Direktorin erwartete. Ich war gleich beeindruckt von dem Respekt, den die Schüler den Lehrkörpern hier entgegenbrachten und zugleich eingeschüchtert durch die Strenge der Schulleiterin. Aline zeigte mir den Lehrer, M. Barthosik, der die literarische „L“- Klasse leitete und ich folgte der kleinen Schülerschar ins Klassenzimmer. Wie ich schon vorher erfahren hatte, gab es noch drei weitere Deutsche auf der Schule, die ebenfalls neu waren und einen Austausch über sechs Monate mit dem Programm „Voltaire“ machten. Zwei der Mädchen waren in meiner Klasse und ich setzte mich automatisch hinter die beiden in eine leere Bank. Die Woche darauf setzte ich mich jedoch in jedem Fach auf einen freien Platz neben einem Franzosen, um dem Unterricht besser folgen zu können und gleichzeitig neue Leute kennen zu lernen.

Aufgrund des sprachlichen Schwerpunktes hatten wir nur einmal pro Woche zwei Stunden Mathematik und jede zweite Woche Physik bzw. Biologie. In diesen Fächern hatte ich wenig Schwierigkeiten, obwohl ich sonst eher sprachlich begabt bin. Die Franzosen, die diesen Zweig wählen, sind oft sehr schlecht in den Naturwissenschaften und der Unterrichtsstoff ist dementsprechend einfach. Denn für viele Berufe braucht man in Frankreich das „bac scientific“, weshalb die meisten Schüler den naturwissenschaftlichen Zweig wählen.

Ich dagegen hatte besonders viel Französisch und Geschichte-Erdkunde, was sich als schwieriger erwies. Die Lehrer behandelten uns Deutsche oft genauso wie die anderen und wir mussten ohne Kompromisse die Klassenarbeiten mitschreiben und schriftliche Hausaufgaben abliefern.
Der gesamte Unterricht, auch in den Sprachen, läuft in Frankreich anders ab. Ich kam mir stellenweise vor wie an der Universität. Der Lehrer redet und die Schüler schreiben mit – fünfzig Minuten lang. Das Behandelte wird dann in der nächsten Stunde abgefragt, wer nicht aufgepasst hat, kassiert eine schlechte Note.

Da mir dazu geraten wurde, besuchte ich auch einige Sonderkurse, bei denen Geschichte auf Englisch gehalten wurde. Somit hatte ich von neunundzwanzig Stunden pro Woche acht Stunden Englisch, jedoch auf deutlich niedrigerem Niveau als ich es von Deutschland her gewöhnt war. Im Deutschunterricht musste ich auch französisch reden und alle Aufgaben ins Französische übersetzen.
Ich beteiligte mich also recht gut am Unterricht und am Ende waren auch alle Lehrer zufrieden mit mir. Man bescheinigte mir neben meinem Schulaufenthalt auch meine schulischen Leistungen und ich bekam ein Zeugnis mit netten Kommentaren der Lehrer.

Da das Haus der Massols nahe der Schule war, legte ich den Schulweg pro Tag viermal zurück. Überhaupt war mein Aufenthalt dort ein sehr regelmäßiger Ablauf. Morgens konnte ich bis halb acht schlafen, eine gute Stunde länger als sonst in Deutschland. Ich zog mich in der Toilette um, ging rasch ins Bad und aß ein ausgiebiges Frühstück. Aline ist jedoch nicht sehr pünktlich, weshalb wir oft zur Schule rennen mussten – wenn wir überhaupt zur gleichen Zeit anfingen. Den Weg kannte ich schon am zweiten Tag, und das war auch nötig.

In der einstündigen Mittagspause ging ich nach hause, wobei die meisten Schüler in der Kantine zu Mittag essen. Heidi kochte jedoch immer etwas und die kleine Pause war mir sehr recht, obwohl wir uns mit dem Essen meist etwas beeilen mussten. Es gab immer einen Nachtisch, zu dieser Jahreszeit waren es hauptsächlich die Weintrauben, die in großen Mengen auf den Tisch kamen.

Die Schule kam mir vor allem am Anfang sehr lang vor. Montags nach dem Mittagessen zwei Stunden auf dem Sportplatz rennen und danach bis halb sieben Uhr abends Mathematik – das stresste mich schon ziemlich. Im ersten Monat hatte ich daher regelmäßig Kopfschmerzen und musste abends dann oft auch noch längere Hausaufgaben machen. Es kam häufig vor, dass ich müde im Bett lag, während Aline noch bis spät in die Nacht arbeitete. Viel Freizeit bleibt den französischen Schülern bei solch einem Tagesablauf nicht, das meiste findet am Wochenende statt. Ich hatte jedoch trotz des gemeinsamen Zimmers genug Privatsphäre, ich las, schrieb Tagebuch oder hörte leise Musik mit Kopfhörern.

Zum Abendessen klopfte Heidi an ein Heizungsrohr, was eine Etage höher gut zu hören war. Man musste auch sonst sehr leise sein, denn die Wände waren sehr dünn. Also am besten früh duschen, ab zehn Uhr im Flüsterton sprechen und nachts nicht auf die Toilette gehen… Zum Essen kamen aber noch mal alle  zusammen und es gab immer eine Suppe, dann Brot mit Käse und zum Schluss einen Joghurt. Heidi teilte das Essen aus und wer nicht wollte, musste trotzdem wenigstens ein bisschen nehmen.

In der kurzen Freizeit war der Computer der Massols immer belegt, ich schrieb ca. alle drei Tage Mails und konnte auch zwischendurch ein wenig im Internet surfen. Mit meiner Familie telefonierte ich insgesamt dreimal.
Die Wochenenden waren eigentlich immer verplant: ein Tag war für den Verwandtenbesuch reserviert, am anderen musste für die Schule gelernt werden. So lernte ich beinahe jedes Wochenende neue Familienmitglieder kennen. Es gab jedes Mal ein leckeres Essen mit dem wohlbekannten „aperitif“ – wobei die Franzosen fast beleidigt waren, wenn man vor dem Essen keine Chips haben wollte. Manchmal gab es eine echt französische „tarte“ als Nachtisch, die mit dem Löffel gegessen wird, da es in Frankreich keine Kuchengabeln gibt. In der Verwandtschaft der Massols gab es viele Kinder bzw. Jugendliche, sodass bei diesen Treffen so gut wie keine Langeweile aufkam. Ich wurde gleich akzeptiert und fühlte mich sehr wohl in der Familie.

Auch in der Schule behandelten mich alle sehr freundlich und obwohl ich keine festen Freundschaften geschlossen hatte, lernte ich doch einige nette Leute kennen, mit denen ich noch ab und zu maile. Manche Lehrer empfand ich allerdings als zu überheblich den Schülern gegenüber. Ein Englischlehrer akzeptierte nur die amerikanische Aussprache – weshalb ich ihn manchmal kaum verstand -, eine andere Englischlehrerin machte einige gravierende Fehler, schrie jedoch die Schüler bei jeder Kleinigkeit an (was zwei Räume weiter noch gut zu hören war). Mein Klassenlehrer war dagegen sehr sympathisch und machte viele Scherze.

An meinem Geburtstag im Oktober bekam ich dann doch etwas Heimweh, aber ich habe diesen Tag dennoch recht schön verbracht. Heidi hatte eine richtige Torte und ich ebenfalls einen Kuchen gebacken. Von meinen Eltern kam ein liebes Paket und auch meine beste Freundin schickte mir ein Päckchen aus Deutschland. Zum Mittagessen kochte Heidi dann leckere deutsche Knödel, auf meinem Kuchen steckten viele Kerzen und wir machten ein lustiges gemeinsames Foto. Der Nachmittag verlief etwas langweilig, da Aline mit ihren Freunden im Chat war.
Zum Ausklingen des Tages machten wir noch einen netten Spaziergang durch den angrenzenden Wald. Über das Geschenk der Massols habe ich mich sehr gefreut: neben einem französischen Parfum bekam ich einen Gutschein über einen Ausflug nach Paris  geschenkt, den ich auch gleich am nächsten Wochenende einlöste. Das war ein sehr schöner Tag, an dem ich alle Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt besichtigte – wenn auch der Dosensalat, den Massols zum Picknick mitgenommen hatten, eine neue Erfahrung war.

Der Rest meines Austauschs verlief sehr gut. Für ein Wochenende fuhr ich mit Massols nach hause, um den fünfzigsten Geburtstag meiner Mutter zu feiern. Nebenbei wollten wir Alines Schwester Marie mit Sara, einer unserer Bekannten im gleichen Alter, bekannt machen –  damit die beiden in ein paar Jahren ebenfalls an einem Austausch teilnehmen könnten. Für mich war das ganze eine hohe geistige Anstrengung, da ich unmittelbar zwischen französisch und deutsch dolmetschte. Teilweise sprach ich mit Aline französisch und sie antwortete auf deutsch…

Zu meinem Abschied in der Schule schenkte mir meine Klasse eine Karte mit vielen netten Sprüchen, wir tauschten Adressen und viele „bises“. Inzwischen hatte ich mich an die tägliche Kussbegrüßung gewöhnt, was ich vorher nicht für möglich gehalten hätte. Meine Familie kam abends mit Sara, die ebenfalls eingeladen war, und ich diente wieder als Übersetzerin. Ich war so davon in Anspruch genommen, dass ich manchmal mit meinem Bruder französisch sprach, ohne es zu merken.

Zu hause bemerkte ich, dass Aline mir ihren schönsten Schal heimlich als Abschiedsgeschenk in den Koffer gepackt hatte. Außerdem haben wir uns gegenseitig in unseren Poesiealben verewigt und eine gemeinsame Kassette aufgenommen. Insgesamt war es wirklich ein sehr gelungener Austausch und ich habe viel gelernt. Die Dauer war genau richtig und ich war froh, Weihnachten mit meiner Familie verbringen zu können. Aline und ich haben uns vorgenommen, immer in Kontakt zu bleiben und wollten uns bereits in den Osterferien danach wieder sehen.

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Mein Stundenplan in Frankreich: Mittags ist immer eine Stunde Pause, jede Schulstunde dauert 60 Minuten und bis auf Mittwochs (traditionell der Tag für Hobbys) ist Nachmittags auch Unterricht.

  Lundi Mardi Mercredi Jeudi Vendredi
8.30 – 9.30 Francais SVT / Physique Allemand
9.30 – 10.30 Francais Francais Histoire-Géo SVT / Physique Histoire-Géo
10.30 – 11.30 Anglais Euro TPE Histoire Euro Anglais Spé Anglais Euro
11.30 – 12.30 Francais TPE Histoire Euro Anglais Spé Anglais
12.30 – 13.30
13.30 – 14.30 Sport Allemand Francais
14.30 – 15.30 Sport Histoire-Géo Francais
15.30 – 16.30 Anglais Francais
16.30 – 17.30 maths
17.30-18.30 maths

Corinna Günther

Ich bin eine sprachbegeisterte Hobby-Fotografin mit Liebe zum Detail. Seit der Lektüre von Pascal Merciers "Nachtzug nach Lissabon" verliebt in die Philosophie, möchte ich das Leben im Alltag mit mehr Achtsamkeit beobachten, genießen und verknüpfen.

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