Frustrierende Mal-Meditation

 
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Vor zwei Jahren habe ich mir in Frankreich einen schönen Hardcover-Tageskalender gekauft, in dem viele fröhliche Bilder zum ausmalen waren. Da ich in der Zeit zum einen sehr gestresst und zum anderen abends meistens alleine war, habe ich fast alle Bilder –teilweise – bunt ausgemalt.

20141018_163304Jetzt sehe ich ähnliche „Ausmalbücher für Erwachsene“ in Deutschland an jeder Ecke. Fast jedes Mal schaue ich mir die verschiedenen Ausgaben an und blättere durch. Immer lege ich sie sofort wieder weg. Wer soll das alles ausmalen?! Und vor allem: Wie lange braucht der Durchschnittsmaler für eine einzige Seite?

Die Bilder sind so kleinteilig, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie sich hier Entspannung einstellen kann. Ich wäre nach einer Stunde frustriert, dass die Seite noch größtenteils weiß ist. Und selbst wenn ich mich für mehrere Stunden hinsetze und male, was das Zeug hält – dann hätte ich das Kunstwerk doch gerne in einer Form, die ich aufheben kann. Nicht auf Seite 28 in einem sonst weißen Buch, das irgendwo in der Ecke rumliegt.

Projekt 52/44Dabei werben die Hersteller damit, dass das Ausmalen bei gestressten (wahrscheinlich größtenteils weiblichen) Erwachsenen wie Meditation wirken soll. Und ich frage mich wirklich, wer die ganzen Käufer sind. Vielleicht sind es häufig Geschenke, die dann entweder nie oder nur ein einziges Mal zum Einsatz kommen. Oder es sind Gelegenheitskäufe nach dem Motto: „Entspannung klingt gut, die kann ich gebrauchen, und die Bilder sind auch so hübsch und überhaupt ist das doch gerade total beliebt.“ 

Bei dem Amazon-Buchbestsellern in der Kategorie „Entspannung“ sind die ersten fünf Titel Malbücher für Erwachsene. Der Pfau im rechten Bild war so ziemlich das Großflächigste, was ich in Frankreich ausgemalt habe. Für die kleinen Blumen im Hintergrund hatte ich keine Geduld mehr. Dabei falle ich wahrscheinlich schon mitten in die Zielgruppe.

Dass Ausmalen an sich für Entspannung sorgen kann, kann ich nicht leugnen. Man muss sich geistig nicht anstrengen und ist körperlich gerade so minimal beschäftigt, dass man nicht das Gefühl bekommt, man tut gar nichts. Dazu schöne Musik, angenehmes Licht und nach Wahl eine Tasse Tee oder ein Glas Wein – warum nicht. Vielleicht finde ich ja eines Tages noch ein Malbuch, dass mich nicht schon allein beim ersten Blättern frustriert zurück lässt.

 

Corinna Günther

Ich bin eine sprachbegeisterte Hobby-Fotografin mit Liebe zum Detail. Seit der Lektüre von Pascal Merciers "Nachtzug nach Lissabon" verliebt in die Philosophie, möchte ich das Leben im Alltag mit mehr Achtsamkeit beobachten, genießen und verknüpfen.

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