Weihnachten – eine Kurzgeschichte

 
1 Mag ich
1 Sekunde

Meine Glieder sind so schwer, ich mag mich kaum noch rühren. Die Fenster beschlagen, alles um mich herum scheint zu verschwimmen. Interessiert mich auch nicht.
Ist es nicht kalt hier? Ich fröstele leicht, meine Finger beginnen zu zittern. Stoßen wohl gegen das Glas, das einsam vor mir steht; etwas läuft über meine Hände. Ich nehme es kaum wahr.
Zeit zerrinnt zwischen meinen Fingern. Zeit, die es selten gut mit mir gemeint hat.
Zeit zu gehen.
Vorsichtig versuche ich aufzustehen, doch leichter Schwindel erfasst mich und ich ergreife meines Nachbarn Hand, der mit ferner, dumpfklingender Stimme auf mich einredet. Ich verstehe nichts von dem, was er mir sagen will, will nichts mehr hören.
Meine Augen klappen nur noch zu, will nichts mehr sehen. Habe genug von der abendlichen Gesellschaft. Sehne mich… Nach meinem Bett. So weich und verlockend… so weit entfernt.

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Heute ist das, was man Weihnachten nennt. Für mich ist es nur ein weiterer Tag im Jahr, ein weiterer Tag ohne Freude, ohne Abwechslung, ohne ein nettes Wort. Der Weg nach hause ist mir wohl bekannt, zum Glück, sonst würde ich mich sicherlich verirren. Die Arme um meinen Körper geschlungen, vor Kälte schlotternd und die Augen gesenkt, gehe ich den vielen Spuren im Schnee nach. Die Straßenlaternen werfen ein warmes orangfarbenes Licht auf den Bürgersteig, doch ich friere immernoch. Das Licht erreicht mich nicht, mein Herz bleibt kalt. Lässt im Gegensatz zu meinem Mantel nichts von der Welt da draußen durch.
Wäre ich nicht so furchtbar müde, würde ich mich wieder fragen, was das Leben für einen Sinn hat. Warum es mich überhaupt noch gibt. So bleibt mir nur der Gedanke an mein Bett… Würde mich jemand fragen, was mir das liebste auf der Welt sei, ich würde ihm antworten: „Mein Bett.“ Aber mich fragt ja keiner.
Als ich die letzte Biegung überwunden habe, überkommt mich wieder dieser seltsame Schwindel. Mit Mühe halte ich mich an der eiskalten Hauswand fest, meine Finger tasten wie im Fieber nach dem Lichtschalter. Ich schließe die Tür auf, gehe den Gang entlang, am Ende die steile Treppe nach oben. Stufe nach Stufe nach Stufe. Mein Zimmer liegt direkt unter dem Dach.
Schon als ich die Wohnungstür öffne, fällt mir die Veränderung auf. Der Geruch… es duftet nach Zimt, Korriander und süßem Honig. Und so warm… die Heizung habe ich ausgemacht, um Strom zu sparen. Verträumt setze ich einen Fuß über die Schwelle. Und den zweiten. Ich fühle mich wie in einer anderen Welt. So viel Helligkeit… Ein Engel sitzt auf meinem Bett. Verwundert reibe ich mir die Augen. Der Engel ist verschwunden. Das Licht jedoch ist geblieben, hüllt mich in eine liebkosende Decke ein. Mir ist jetzt so warm, dass ich meinen alten Mantel ausziehe und näher ans Bett trete. „Es stimmt“, flüstere ich, „du bist wirklich mein bester Freund.“
Die weichen Federn empfangen mich mit Freude, sofort weigern sich meine Augenlider, noch weiter offen zu bleiben und mein ganzer Körper sinkt in die Tiefe. Mein Geist mit ihm. Was übrig bleibt, ist ein leichter Duft von Zimt und Korriander. Weihnachten.

Corinna Günther

Ich bin eine sprachbegeisterte Hobby-Fotografin mit Liebe zum Detail. Seit der Lektüre von Pascal Merciers "Nachtzug nach Lissabon" verliebt in die Philosophie, möchte ich das Leben im Alltag mit mehr Achtsamkeit beobachten, genießen und verknüpfen.

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